Zum Verständnis der Stiftskirche in Königslutter als Kaiserdom
Viele Besucher betreten die ehemalige Benediktiner- und Stiftskirche in Königslutter in dem Bewusstsein, sie sei ab 1135 als Dom für Kaiser Lothar III. erbaut worden. Das trifft zwar zu, doch was sie zu sehen bekommen, ist nicht nur ein romanisches Monumentalbauwerk, sondern ein Raumkunstwerk des ausklingenden Historismus, das erst 750 Jahre später, zwischen 1886 und 1894 entstanden ist. Wie dieser Kirchenraum im Mittelalter - also vor der Reformation - ausgesehen haben mag, können wir uns indes nur vage vorstellen. Sie wäre, wie der Berliner Kunsthistoriker und Mediävist Robert Suckale 2003 es ausdrückte, wahrscheinlich "angefüllt mit Altären samt Vorhängen, Teppichen, Leuchtern und Reliquiaren, mit Grabmälern und Denksteinen, Votivbildern und -gaben, Epitaphien, Totenschilden, alten Rüstungen und von Motten zerfressenen Fahnen, mit Inschriftentafeln und angeketteten Büchern, Gestühlen, Schranken, Gittern" und würde "durch die reiche Bemalung überladen, durch die bunten, oft schmutzverkrusteten Glasfenster verdunkelt und wegen ihrer Schwärzung durch Fackel- und Kerzenruß sowie Weihrauch" düster erscheinen und Einzelheiten nur schwer zu erkennen geben.
Von der einst wahrscheinlich reichen Ausstattung der Stiftskirche in Königslutter kennen wir heute lediglich die hervorragende Bauplastik, den Osterleuchter aus der Erbauungszeit und den ebenfalls romanischen, bergkristallbesetzten Altarleuchter aus Bronze, dazu eine Messingtaufschale vom Ende des 15. Jahrhunderts sowie den Taufstein aus dem frühen 17. Jahrhundert. Auch eine der Glocken stammt aus dem Mittelalter, das Kaisergrabmal aus dem frühen 18. Jahrhundert, Altargerät wie drei Zinnteller aus dem späten 18. Jahrhundert. Die Gründe für die Purifizierung ab dem 16. Jahrhundert sind vielfältig. Sie hängen vor allem mit der Reformation und der 1542 erfolgten Umwandlung in eine evangelische Kirche zusammen, durch die zahllose sakrale und liturgische Ausstattungsgegenstände ihren Sinn für Messzelebration, Fürbitte und Prozessionen verloren.
Reiner Zittlau