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Königspfalz in Schnellbauweise

Ein Gipsmörtelfragment mit Abdruck von Holzarchitektur


Von Michael Geschwinde

Bei den archäologischen Untersuchungen auf der Königspfalz Werla, Ldkr. Wolfenbüttel, wurde in den beiden vergangenen Jahren ein eigenartiger Befund dokumentiert: Der aus der Zeit Heinrich I. stammende Verteidigungsgraben der Kernburg war im 12. Jahrhundert mit enormen Mengen an Gipsmörtelbrocken verfüllt worden, offenbar um eine Baustraße während des endgültigen Abrisses der Pfalz anzulegen. Der Gipsmörtel konnte der repräsentativen Bebauung im Palas-Bereich des 10. Jahrhunderts zugeordnet werden. Wieso wurden dort aber so immense Mengen an Gipsmörtel verbaut?

Unübersehbar trugen fast alle Gipsbrocken Abdrücke von Holzbalken, manchmal der Ausfachung von Fachwerkgebäuden gleichender Rutenbündeln oder von Feldsteinen. Die Lösung des Rätsels brachte der Band „Kirchen aus Gips. Die Wiederentdeckung einer mittelalterlichen Bauweise in Holstein“, der 2017 vom Landesamt für Denkmalpflege Schleswig Holstein herausgegeben worden ist. Dort lässt sich ab dem 10. Jahrhundert eine ungewöhnliche Bauweise nachweisen, bei der die Mauern von Kirchen zwischen mit Holzankern verbundenen Schalbrettern aus Gipsmörtel mit dazwischen eingebetteten unbearbeiteten Steinen hochgezogen wurden. War eine Lage abgetrocknet, wurden die Bretter nach oben versetzt, bis die gewünschte Höhe erreicht war. Daher die Bezeichnung „Kletterschaltechnik“. Es entsteht eine beeindruckende, strahlend weiße Architektur, für die man weder zugerichtete Werksteine aus Steinbrüchen noch spezialisierte Maurerkolonnen braucht – ideal also für das frühe Mittelalter, in dem sich erst langsam von den Bischofburgen ausgehend Steinarchitektur im Norden Deutschlands durchsetzte. Es ist sicherlich kein Zufall, dass auf der Pfalz Werla in der ältesten Bauphase offenbar mehrere repräsentativen Gebäude in dieser Bauweise errichtet wurden, stammen die Liudolfinger wie Heinrich I. und Otto I. doch aus dem Südharz mit einer sehr alten Tradition der Verwendung von Gipsmörtel in der Architektur. In Verbindung mit denkbarer farbiger Bemalung und den archäologisch nachgewiesenen bunt glasierten Dachziegeln müssen so die Bauten der Königspfalz Werla einen überwältigenden Eindruck auf ihre Zeitgenossen ausgeübt haben.

Schematische Darstellung der Kletterschaltechnik   Bildrechte: C. Haker
Schematische Darstellung der Kletterschaltechnik
Gipsmörtelbrocken mit Abdrücken von Balken   Bildrechte: NLD

Gipsmörtelbrocken mit Abdrücken von Balken. Aufnahmedatum

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